Majesty of Silence - Die Schöpfung Tohuwabohu

Majesty of Silence – Die Schöpfung Tohuwabohu

Boersma Records
2021

An welch definiertem Punkt hört eigentlich das klassische Musikalbum auf, ein klassisches Musikalbum zu sein? Ab wann wird es zu etwas anderem, etwas höherem, das man nicht mehr mit traditionellen Maßstäben messen sollte? „Die Schöpfung Tohuwabohu“, das neue Werk von Majesty of Silence, scheint so ein Fall zu sein. Das Ding misst mit knapp 80 Minuten ziemlich die maximale Menge an Audiomaterial, die man so auf eine handelsübliche CD pressen kann. Dabei ist symphonischer, sagen wir mal experimenteller, Black Metal das Grundgerüst des Schweizer Duos. Vorgetragen wird das Opus in deutscher Sprache, wobei mal mehr, mal minder der schweizerdeutsche Zungenschlag der Beteiligten aus dem eidgenössischen Kanton Aargau durchschimmert.

Der Name ist hier Programm: „Die Schöpfung Tohuwabohu“ hört sich an wie eine erzählte Schöpfungsgeschichte, die aus dem blanken musikalischen Chaos geboren wurde. Durchaus mannigfaltig durchinstrumentiert und orchestral ausgestattet, durchsetzt mit dissonanter Kakophonie, schwarzmetallischer Raserei und düster-atmosphärischen Zwischenspielen, arbeiten sich die beiden Schweizer Musengeister durch die knapp anderthalb Stunden an schwerster musikalischer Kost. Das Songwriting ist stets ruppig und alles andere als eingängig, der Kreischgesang verfällt praktisch nonstop in erzählende Phrasierungen und wird dabei von dreierlei süßen Frauenstimmchen konterkariert. An allen Ecken wird man von Breaks, Soundeffekten und überladenen Orchesterklängen überfallen. Überall recht schräge Gitarrensprengsel, hackendes und schrotendes, digital klingendes Schlagzeug. Ein heilloses Durcheinander, ein Tohuwabohu eben, im absolut biblischsten Sinne. Das alles wirkt, um es vorsichtig zu formulieren, recht abstrakt. Als „normales“ Musikalbum völlig unsinnig und untauglich. Einzelne Stücke gar herauszugreifen, wäre wahrhaftig ganz absurd. Alles geht ineinander über, alles spielt durcheinander, stolpert umher, zerfasert sich und zerfällt, nur um kurz darauf wieder als völlig groteskes Konstrukt wiederaufzuerstehen. Dabei tut der deutsche Gesang der Musikalität des Ganzen nicht immer einen Gefallen. Zuweilen wirken die sehr bemühten Reime und Knittelverse so, als würden sie mit voller Absicht gegen alle anderen musikalischen Komponenten anschreien.

Doch was kredenzen uns Majesty of Silence dann hier, wenn es kein gewöhnliches Musikalbum sein kann? „Die Schöpfung Tohuwabohu“ hat zumindest ein konsistentes Konzept, sie erzählt eine Geschichte und mag ihren Reiz auch aus ihrer avantgardistischen Andersartigkeit ziehen. Vielleicht ist das hier ein massiv musikalisch ausstaffiertes Hörspiel – zumindest aber einmal ein ambitioniertes Gesamtkunstwerk. Alle, die Spaß an so etwas finden und sich an der schieren Merkwürdigkeit aus sich selbst heraus erfreuen können, mögen ein Ohr riskieren. Alle anderen dürfen es vielleicht auch einfach als sonderbare Eigentümlichkeit aus der gottverlassenen Schweizer Provinz beiseite tun. Es muss nicht alles philosophisches Schwergewicht sein.

Tracklist
1. Wiederauferstehung
2. Die Korrektur
3. Sei gedankt
4. Das Ritual
5. Das letzte Spiel
6. Es tut uns leid
7. Stechpalmenholz
8. Schönes Finale
9. Ein Haus am Meer
10. Rolf
11. Willkommen zu Hause
12. Seelensammler
13. Schalt es aus

Geschrieben von Jonas am 15. Mai 2022