Sordide - Les Idées Blanches

Sordide – Les Idées Blanches

Les Acteurs de l’Ombre Productions
2021

Brachial und verzweifelt, so könnte man den Stil von Sordide zusammenfassen. „Les Idées Blanches“, der dritte Longplayer der Truppe aus der Normandie, töst ab der ersten Sekunde mit einer Klangwand durch die Boxen, die selbst im Black Metal nur selten anzutreffen ist. Das liegt einerseits an der kratzbürstigen Produktion, andererseits aber auch an den Gitarrenarrangements, die über weite Frequenzbereiche scheppern und dabei ein dichtes Klangbild erzeugen, das immer kurz davor ist sich in Lärm zu verlieren. Dass das nicht passiert, ist der Verdienst eines ungeheuer tighten, akzentuierten Spiels. So formt sich die allgemeine Reizüberflutung schnell zu marschierenden Rhythmen und teils fast crustigen Ausbrüchen, die so rasend voranpeitschen, dass man kurz geneigt ist, in „Les Idées Blanches“ ein reines Krawall-Album zu sehen. Das würde dieser Scheibe aber nicht gerecht werden. Denn bald legen sich subtile Harmonien über das Gewüte, es schälen sich gezupfte, halb verzerrte Gitarren aus dem wilden Sound-Dickicht und geben der musikalischen Raserei eine unerwartet tragische Note. In diese Kerbe schlägt auch der Gesang: Hier wird – ganz ohne in weinerliche DSBM-Klischees abzudriften – mit einer Inbrunst gelitten und gezürnt, die an die Nieren geht.

Was „Les Idées Blanches“ aber letztendlich besonders spannend macht und den großen Wiederhörwert des Albums ausmacht, ist ein intelligentes Songwriting, das seine großen Ideen nie zu offensichtlich präsentiert: Sordide punkten weder mit eingängigen Riffs und Melodien noch mit plakativen Breaks. Vielmehr lassen sie ihre dunkelsten Gitarrenfiguren halb versteckt unter einer Schicht von Schrammelgitarren einfließen, variieren ihre Motive geschickt und gehen durch ihr dynamisches Spiel fließend in ruhigere Parts über, um darauf wieder Schicht für Schicht neue Gitarrenwände aufzubauen. Dabei fördert das Trio immer wieder neue magische Momente zutage: Die schleppenden, melancholischen Atmospheric-Black-Metal-Ausflüge in „Ne Savoir que Rester“ beispielsweise, die verloren klingenden Akustikgitarren und das fast schon Candlemass-esque Doom-Riffing im Titeltrack oder die sich hypnotisch immer weiter wiederholenden Figuren im rasenden Finale des Rausschmeißers „Vers Jamais“.

„Les Idées Blanches“ ist ein Album, das Brutalität, Melancholie und Vielschichtigkeit überraschend homogen miteinander verbindet und durch sein detailreiches Songwriting dazu einlädt, bei jedem Durchlauf Neuartiges zu entdecken. Abgerundet wird das Ganze durch ein Artwork, das ebenso eigenständig ist wie die Musik: Das Digipak mit der abstrakten Malerei, silbernem Sonderfarbendruck und einzeln mit partieller Lackierung hervorgehobenen Elementen ist ein Schmuckstück, das sich sehen lassen kann.

Tracklist
1. Je N’Ai Nul Pays
2. Ruines Futures
3. L’Atrabilaire
4. Ne Savoir que Rester
5. Les Idées Blanches
6. Le Silence ou la Vie
7. Vers Jamais

Geschrieben von Philipp am 7. August 2021