Interview mit Hangatyr

Interview mit Hangatyr

Das aktuelle dritte, unverhofft wie aus dem Nichts im März dieses Jahres erschienene Album „Kalt“ der thüringischen Schwarzmaler von Hangatyr kommt recht überraschend frisch wie der in der Realität leider immer öfters ausbleibende Neuschnee daher und zeigt die sich neu aufgestellte Band von ihrer dunkelsten, aber auch stärksten Seite. Zugleich aber auch sehr mutig und souverän, wie die bewusst getroffene Entscheidung, bei dieser Aufnahme komplett auf den gerade im Metal als unverzichtbar geltenden Bass zu verzichten, es bestätigt. Silvio, der Frontmann von Hangatyr, klärt uns über die neuesten, im Zusammenhang mit „Kalt“ stattgefundenen Bandereignisse auf.

Hallo Silvio! Erst einmal Glückwunsch zu dem überaus gelungenen neuen Album! Ich muss schon sagen, die darin enthaltene schwarzmetallische Kälte hat mich so ziemlich eiskalt erwischt! Unter einer Hangatyr-Flagge hätte ich eigentlich eine lupenreine Pagan-Knüppelei erwartet, doch irgendwelche Bezüge zu nordischen Mythologie sind selbst in den neuen Texten nur an ganz wenigen Stellen auszumachen. Eine bewusste Absicht, nehme ich an, nicht wahr? Mit „Kalt“ scheint Ihr Euch auch irgendwie neu erfunden zu haben. Kann man das so stehen lassen?

Grüß Dich Adam! Es freut mich, und ich denke mal, auch die anderen Jungs, wenn Dich unser Album so begeistert. Ich finde, auf „Elemente“, unserer zweiten Scheibe, war schon eine Tendenz in Richtung Black Metal zu erkennen. Dann kam Basti 2017 zu uns. Er hat diesen Kurs mit seiner Art Klampfe zu spielen noch stärker forciert. So kam eins zum anderen. Ich denke aber nicht, dass wir uns neu erfunden haben. Diese dunkle und melancholische Seite hat uns von Anfang an begleitet. Und ja, es stand auch eine gewisse Absicht dahinter, wir wollten uns mit dem neuen Album ein Stück weit vom Pagan-Genre distanzieren. Es gibt genug andere Bands, die das wesentlich besser können als wir.

Wenn man tiefer in Eure beiden Vorgängeralben „Helwege“ und „Elemente“ eintaucht, fällt schon auf, dass Ihr früher in viel melodiöseren Gewässern gesegelt seid. Und Ihr habt Eure Sache verdammt gut gemacht. Vor anderen Pagan-Metal-Bands braucht Ihr Euch ganz sicher nicht zu verstecken! Doch ich gebe Dir auch recht, so ein Song wie „Grimmfrost“ hat schon einen dunkleren Zukunftshimmel bei Euch angekündigt. Auch textlich weist der Song eine gewisse Nähe zu „Kalt“ auf. Man könnte annehmen, dass Ihr eine Affinität zur Kälte und Winter habt, oder? Habt Ihr womöglich den Winter, der bei uns schon mal öfters, wie dieses Jahr, komplett ausfallen kann, vermisst? Oder wie kommt es, dass Ihr gleich ein ganzes Album der frostigen Kälte gewidmet habt?

Oh ja, ich für meinen Teil liebe den Winter. Es gibt nichts Schöneres, als eine tief verschneite Landschaft und klirrende Kälte. Wenn der Schnee sämtliche Geräusche dämpft, diese wunderbare Ruhe, die dann einkehrt… Das Weiß, welches alles so rein und unschuldig erscheinen lässt. Wohl wissend, dass es nicht so ist, aber dennoch hat es etwas sehr Friedvolles. Ich muss gestehen, mir fehlen diese Momente, seitdem die letzten Winter so verdammt sommerlich sind. Die „Kälte“, die wir in unserm Album behandeln, ist in übertragenem Sinne eine innere. Um diese greifbar zu machen, bediene ich mich textlich gerne an etwas, was man selber kennt oder schon einmal gespürt hat. Ich glaube, das transportiert den Sinn dahinter vielleicht etwas besser, und der Zuhörer oder Leser bekommt eine Ahnung von dem, was ich sagen möchte. Der Albumtitel „Kalt“ kristallisierte sich aber erst ganz zum Schluss heraus. Eben weil sich alle Songs doch irgendwie mit dem Thema befassen. Wir dachten, das ist schlüssig und passend.

Da liegen wir auf einer Wellenlänge, denn auch ich finde es schön zu sehen, wenn die Welt in eine makellos schöne weiße Schneedecke gehüllt wird. Das Weiß verdeckt den ganzen menschlichen Unrat, der mittlerweile überall verstreut liegt. Kann das vielleicht auch der Grund für die innere, von Euch thematisierte Kälte sein? Zu sehen, wie undankbar wir sind, wie schonungslos wir mit unserer Lebensgrundlage, der Natur, umgehen? Die Erderwärmung als Resultat der inneren Kälte sozusagen?

Das ist ein wirklich interessanter Gedankenansatz. Von der Seite habe ich das noch nicht betrachtet. Gier, Egoismus, Bequemlichkeit, keine Rücksichtnahme, das alles sind unangenehme Eigenschaften, die dem Menschen leider anhaften. Und wenn man diesen freien Lauf lässt, wie das in der hiesigen Zeit geschieht, führt das zur Verrohung, so dass man gewissermaßen von einer inneren Kälte sprechen kann. Aber diese Idee war nicht die Triebfeder für unser Album. Adam, Du hast sicher auch schon einige herbe Enttäuschungen und Verluste hinnehmen müssen. In solchen Momenten fühlt man sich richtig kacke und man weiß erst einmal nicht mehr weiter. Vielbeschworenes Reden oder Hilfe, die nicht ernst gemeint ist, bringen Dich dann auch nicht voran. Du bist allein mit der Situation. Stell Dir vor, in Dir drin tobt ein heulender Schneesturm und lässt alles gefrieren. Aus dieser Perspektive kam die Inspiration für die Texte.

Derartige negative Erfahrungen hat wohl schon jeder einmal in seinem Leben durchmachen müssen. Ob eine unerwiderte Liebe, das Dahinscheiden eines geliebten Menschen oder etwa der Verrat durch einen vermeintlich besten Freund, die Liste ließe sich noch lange so fortführen. Auch ich habe da schon einiges erlebt, weiß also genau, wovon Du sprichst. Dennoch: Aufgeben ist nie eine Option, und eine Musik wie der Black Metal, der diese Negativität auch noch thematisiert und mit einem teilt, kann da einem schon den Rücken stärken, denke ich. Das Cover-Artwork mit dem sich durch einen Schneesturm kämpfenden Menschen versinnbildlicht dies auch recht deutlich, finde ich. Ist das auch Eure Botschaft an die Hörer, immer weiterzugehen, egal wie beschwerlich der Weg auch sein mag?

Das Cover kann jeder natürlich so interpretieren, wie er es gerne möchte. Ich finde, die Künstlerin hat den Gedanken wunderbar umgesetzt. Uns ging es vielmehr darum, eine bestimmte Situation darzustellen. Hinter dem Wanderer liegt ein langer Weg, und vor ihm liegt nichts außer Kälte und sehr wahrscheinlich ein baldiger Tod. Jeder Schritt kann ihn diesem Schicksal ein Stück näher bringen; bleibt er stehen, ist dieses Ende auch nicht abwendbar. Also wird er versuchen, mit letzter Kraft diesem möglichen Szenario zu entrinnen. Ob er erfolgreich sein wird? Unsere Songs sagen eher das Gegenteil. Das ist auch das Schöne am Black Metal, er braucht kein Happy End. Angenommen, wir haben eine Botschaft versteckt, dann könnte es jene sein, dass mit der Geburt ein Pfad vor uns liegt, der zwangsläufig auf einen Punkt dieser Art, wie es das Cover darstellt, hinführen wird.

So eine form- und dehnbare oder universelle Sichtweise macht das Album sogleich noch ein Stückchen interessanter für mich. Der Tod ist doch das zentrale Thema des menschlichen Lebens, die zentrale Angst, die alles mehr oder weniger steuert, weil wir uns bewusst über diesen finalen physischen Zustand unseres Körpers Gedanken machen können. Man braucht sich doch nur die letzten Ereignisse globaler Reichweite vor Augen zu führen, überall ist da der Tod ganz klar im Spiel. Weglaufen bringt also auch nichts. Wozu sich da also anstrengen, die letzte Kraft aufbringen, wenn man weiß, dass man dadurch nur ein wenig mehr Zeit gewinnt, evtl. seine Qual verlängert, aber dem vorbestimmten Schicksal sowieso nicht entrinnen kann? Habt Ihr Eure Texte auch mit einer gewissen „Angst“ im Hinterkopf geschrieben? Würde mich jetzt interessieren…

Wenn ich das richtig verstanden habe, stellst Du die These auf, dass die Angst vor dem Tod das Leben beherrscht. Da gebe ich Dir zum Teil recht. Dieses alltägliche Drumherum sagt einem, dass man sterblich ist und einfach nur konsumieren sollte, bevor der Gevatter Tod einen holt. Das macht einen glücklich, und für eine kurze Zeit kann man dadurch seine geringe Lebensspanne auf diesem Planeten genießen bzw. vergessen. Die Möglichkeit, sich der Natur zu widmen, zu entdecken, darüber zu staunen, was Flora und Fauna im Stande sind zu kreieren, spielt in den Medien eher eine untergeordnete Rolle, wo doch gerade dort Leben und Tod im ständigen Reigen eng miteinander verflochten sind. Ohne das eine gäbe es nicht das andere. Und universell gesehen: Vergleicht man den Lebenszyklus eines menschlichen Daseins mit dem eines Sterns, dann wird eigentlich klar, wem hier mehr Bedeutung zugesprochen werden sollte. Was Deine eigentliche Frage betrifft, da war keine „Angst“ im Hinterkopf bei der Erstellung der Texte, eher eine Ohnmacht vor der Erkenntnis, dass man als Mensch den Naturgewalten gegenüber machtlos ist.

Dass eine gewisse Angst indirekt – ich meine hier definitiv keine direkte bzw. unmittelbare Todesangst – unser aller Leben mehr oder weniger beeinflusst, das hab ich mir aus gemachten Erfahrungen und Beobachtungen zusammengereimt. Die von Dir erwähnte Ohnmacht vor den Naturgewalten passt natürlich auch sehr gut zu dieser Behauptung. Das lässt sich gerade aktuell sehr gut beobachten, nachdem das zügellose und zerstörerische, auf wirtschaftlicher Ebene Sodomie-artige Treiben des modernen Menschen auf einmal jäh zum Stillstand gekommen ist. In dieser Zeit wird sicher so manchem klarer, dass uns Menschen nicht wirklich viel von Ungeziefern unterscheidet. Und im Vergleich mit einem Stern sind wir doch nur ein lästiges Sandkorn im ewigen Strudel der Zeit. Eine schöne Vorstellung, findest Du nicht auch? Das wäre sicherlich ein tolles Thema für ein Konzeptalbum. Habt Ihr evtl. so etwas im Sinn, da Du schon den Vergleich zu einem Stern gezogen hast? Oder um anders zu fragen: Macht Ihr Euch bereits Gedanken über neues Liedgut?

Uns unterscheidet doch einiges von Ungeziefer. Zum Beispiel sind diverse Insektenarten, welche in vielen Augen unserer Spezies einfach nur tot geschlagen gehören, fähig, intelligente Lösungsansätze für Probleme zu entwickeln, und sie wissen instinktiv, dass man nur gemeinsam überleben kann. Der größte Teil der Menschheit ist im Gegensatz dazu doch weit davon entfernt zu begreifen, dass alles zusammenhängt und jede einzelne Tat auch Konsequenzen für die Gemeinheit hat. Da ist uns dieses sogenannte Ungeziefer um einiges voraus, trotz der Milliarden Gehirnzellen, die wir besitzen. Dennoch denke ich, dass den meisten zumindest eine nutzbringende Fähigkeit mitgegeben wurde, die das kurze Leben mit seinen Artgenossen in etwas Erfreuliches verwandeln kann. Denn die Zeit ist gnadenlos. Ein schönes Thema hast Du da angeschnitten. Ich könnte da jetzt noch eine Weile schwadronieren. Aber vielleicht hebe ich mir das lieber als Anreiz für zukünftige Texte auf, denn die ersten Riffs für neues Songmaterial nehmen schon zarte Formen an.

Manchmal ist eben weniger doch mehr, auch in Hinblick auf Gehirnzellen… (lacht) Nun ja… Jedenfalls freut es mich, wenn ich Dich evtl. auf neue Gedanken bringen konnte. Und musikalisch ist bei Euch der Frühling ausgebrochen, wenn Du von zarten Formen sprichst? Aus kalt wird warm sozusagen? Habt Ihr überhaupt vor an „Kalt“ anzuknüpfen, oder möchtet Ihr lieber neue Pfade beschreiten? Oder ist es noch viel zu früh, um diesbezüglich etwas sagen zu können?

Wir sind gerade dabei einige Gitarrenriffs auszuarbeiten. Wir stehen da wirklich erst ganz am Anfang. Von daher kann man noch nicht sagen, wo es hingehen soll. Aber eins steht fest: Ein Tony-Marshall-Tribute-Album wird es nicht werden. Ich denke mal, den Pfad, den wir eingeschlagen haben, werden wir wohl nicht verlassen. Wie gesagt, viel kann ich da noch nicht zu erzählen. Mag aber auch sein, dass ich mich täusche, und in sechs Jahren kommen wir mit einer Grindcore-Platte um die Ecke. Wer weiß?

Nun, Grindcore traue ich Euch nicht zu, haha… Es sei denn, Euer Line-Up wird in irgendeiner Form dahingehend verändert. Aber Ihr scheint nun eine konstante Besetzung gefunden zu haben, oder?

In der Tat, wir mögen den Black Metal und seine Vielfalt, deshalb denke ich nicht, dass auch nur einer von uns den Gedanken hegt, ernsthaft Grindcore machen zu wollen. Mit der Besetzung, wie sie jetzt ist, hat sich eine Truppe gefunden, die richtig gut miteinander harmoniert. Es ist zwar nicht immer leicht, da Micha, unser Drummer, in Dresden wohnt, aber dafür haben wir Lösungen gefunden, die uns voranbringen. Hin und wieder taucht allerdings die Kritik auf, dass uns der Bass fehlt. Es waren einige ganz fähige Bassisten bei uns vorstellig, aber leider hat es mit keinem so richtig gefunkt. Und die Songs waren so gut wie fertig und wir wollten ins Studio. Mit den Voraufnahmen ohne Bass und nach einigen Diskussionsrunden sind wir zu dem Entschluss gekommen, das Brummteil wegzulassen. Aber falls es der Zufall will und uns doch noch ein passender Bassist über den Weg läuft, dann nehmen wir ihn gerne bei uns auf.

Es gibt diesen doofen Spruch, dass Metal ohne Bass gar nicht Metal sein kann, oder so. Aber Ihr habt den Beweis geliefert, dass es doch so sein kann. Und ehrlich: Mich stört es nicht die Bohne, so dass ich in meiner Rezension auch gar nicht erst darauf eingegangen bin. So etwas überlasse ich den ewigen Nörglern, die immer etwas zu kritisieren haben müssen, haha… Aber für Live-Auftritte steht Euch noch Marco zur Verfügung, zumindest wenn man den Metal Archives Glauben schenken darf? Oder ist das auch schon eine veraltete Info?

Marco ist live nicht mehr mit dabei. Unsere Wege haben sich 2017 getrennt, was auch unsere Konzertbilder seit dieser Zeit belegen. Ich habe gerade mal bei besagter Seite nachgeschaut, und ja, tatsächlich steht er da noch als Live-Bassist drin. Eine Aktualisierung ist dort somit fällig. Aber alter Schwede, das Bandfoto auf den Metal Archives ist ja auch schon mindestens hundert Jahre alt. Da muss sich unbedingt was tun. Wird demnächst in Angriff genommen!

Alles klar, somit wäre das auch geklärt. Die Metal Archives sind mittlerweile an vielen Stellen nicht mehr ganz aktuell. Ich denke, da muss jede Band selber etwas hinterher sein, denn von den paar Leuten, die dieses Mammut-Projekt ins Leben gerufen haben, kann man einfach nicht mehr erwarten, dass sie diese mittlerweile gigantische Datenbank täglich aktualisieren. Und ich bin mir sicher, dass mindestens jeden Tag irgendwelche Änderungen bei zig Bands fällig werden… Silvio, hab Dank für Deine Antworten! Wünsche Euch weiterhin viel Erfolg und bin auf Neues aus dem Hause Hangatyr gespannt! Ich gehe jetzt noch etwas in die Natur und bin mir sicher, dass Du bei der nächsten Gelegenheit auch dasselbe tun wirst, oder?

Ich bin eben von meiner Laufrunde heimgekehrt. Es gibt nichts Besseres, als im Grünen zu entspannen. Da bin ich ganz bei Dir. Adam, Du brauchst Dich nicht zu bedanken, ich habe gerne auf Deine Fragen geantwortet! Es war mal etwas anderes, so eine Art richtiges Gespräch zu führen. Mir hat es Spaß gemacht! Nun, dann wünsche ich Dir und Deinem Mag eine rosige Zukunft. Cheerio!

Geschrieben von Adam am 4. Mai 2020