Interview mit Fiur

Interview mit Fiur

Fiur haben im Untergrund durch hohe Qualität und naturromantisch lyrische Konzeption den ein oder anderen Liebhaber gefunden. Wir mussten also unbedingt mit Tobias sprechen, der sich als netter, bodenständiger und offener Gesprächspartner entpuppte. Aber lest selbst und taucht hinab in Fels, Wald und Sturm…

Grüß Dich Tobias! Zunächst einmal besten Dank für die Zusage zum Interview und Glückwunsch zum gelungenen Album „Verse“, welches ja am 31.12.2020 erschienen ist. Kannst Du uns einen kurzen Überblick über Dein neues Album im Speziellen und Fiur im Allgemeinen geben? Was sind Deine wesentlichen Themen und musikalischen Inspirationsquellen?

Fiur habe ich Anfang 2018 aus der Taufe gehoben. Zu dieser Zeit spielte ich bei der Doom-Metal-Band Kalibos sowie dem Crust-Projekt Delusive Utopia und hatte nebenbei noch ein melodisches Doom/Death-Metal-Projekt (Ruins of the Past) am Laufen. Irgendwie vermisste ich aber etwas, womit ich die melancholische Atmosphäre mit der Schnelligkeit und der Melodik dieser drei Bands/Projekte verbinden konnte. So wurde Fiur geboren.

Bis jetzt habe ich nur mit naturverbundenen Texten gearbeitet, was vielleicht nicht besonders originell, aber dafür persönlich und authentisch ist. Bei Fiur sollen die Musik und Atmosphäre sehr im Vordergrund stehen, kein philosophischer Überbau oder irgendwelche sperrigen Konzepte. Daher fiel die Wahl auch auf deutsche Texte, obwohl ich selbst gerne mal ein kritisches Ohr habe, wenn ich auf deutschsprachigen (Black) Metal stoße.

Während das Debütalbum „Elementa/Refugium“ ausschließlich eigene Texte enthält, habe ich auf dem Zweitwerk „Verse“ fremde Lyrik herangezogen. Die Idee war schon älter, sollte aber eigentlich nicht schon mit dem zweiten Album realisiert werden. Da ich aktuell an zwei anderen Konzepten arbeite und diese noch etwas Zeit benötigen, kam „Verse“ eher ungeplant daher: Einige fertige Stücke wollten nicht so recht zu diesen Konzepten passen und bei der Durchsicht einiger Gedichte stellte ich fest, dass man daraus durchaus etwas formen konnte.

Hast Du bisher viele Reaktionen zum Album erhalten und wie zufrieden bist Du heute im Rückblick auf das Album und die Veröffentlichungsphase?

In der Flut der Veröffentlichungen ist es mit so einer Selbstveröffentlichung natürlich schwierig überhaupt Beachtung zu finden. Sehr motivierend ist da sehr persönliches Feedback, bei dem man merkt, dass einige Leute ganz ohne Hype und Promotion von der Musik berührt werden. Mittlerweile ist auch eine gute Zahl von Reviews zusammengekommen, die ebenfalls sehr positiv über das Album urteilen. Ganz besonders erfreulich sind Rezensionen, bei denen man merkt, dass sich der Autor wirklich mit der Musik und dem Inhalt beschäftigt hat.

Persönlich bin ich ebenfalls recht zufrieden mit dem Album. Zum einen ist es etwas aufgeräumter produziert als das Debüt, weshalb die einzelnen Instrumente besser zur Geltung kommen. Zum anderen habe ich die Gelegenheit genutzt, das Format überlanger Songs auszuloten. Da werde ich mich bei der nächsten Veröffentlichung aber wieder etwas kürzer fassen.

Bei den geschätzten Kollegen von metal.de habe ich einen interessanten Vergleich zwischen Deiner Musik und dem deutschen Pagan-Metal-Projekt Nebelhorn gelesen. Ist Dir die Musik von Wieland bekannt und war diese tatsächlich eine Inspiration für Dich?

Ich bin leider sträflichst ungebildet, was diverse Bands in diesem Genre anbelangt. Zum einen höre ich generell eher wenig Musik und genieße öfter einfach die Ruhe, zum anderen ist mein Geschmack recht breit gefächert, so dass ich in keinem Genre besonders fundiertes Wissen habe. Nebelhorn sagen mir tatsächlich gar nichts, weshalb ich direkt mal ein Ohr riskieren sollte. Parallelen herauszuhören finde ich immer spannend, gerade wenn diese völlig unabhängig voneinander entstanden sind. Oft sind die Inspirationen die gleichen, selbst wenn diese nur indirekt sind.

Mit „In kaltem Stein“ findet sich ein zehn Jahre altes Instrumental auf Deinem neuen Album „Verse“. Staubte das Stück einfach auf der Festplatte vor sich hin oder gibt es eine tiefsinnigere Erklärung Deinerseits?

Die Melodie dazu ist sogar deutlich älter als zehn Jahre und schwirrt mir immer mal im Kopf herum. Ich hatte wiederholt mit ihr gespielt, aber bisher wurde sie tatsächlich auf noch keiner Veröffentlichung verwendet. Auf „Verse“ wollte ich ein Interludium setzen, damit die überlangen Songs einen nicht völlig erschlagen. Da kam mir dieses alte Arrangement wieder in den Sinn. Vielleicht schaffe ich es irgendwann einmal ein richtiges Lied daraus zu formen, um damit richtig abschließen zu können. Denn daraus könnte man deutlich mehr machen als nur ein Zwischenspiel.

Bei „Verse“ hast Du ein spannendes Konzept bezüglich der Texte gewählt und klassische Dichtungen verschiedener eher unbekannter Lyriker/-innen vertont, beispielsweise von der Frauenrechtlerin Emmi Lewald. Bist Du selbst Leser klassischer Lyrik und welche Quellen hast Du für die Auswahl der Gedichte angezapft?

Ich bin kein großer Bücherwurm, leider. Mir fehlen oft Ruhe und Zeit dazu. Ganz unromantisch hilft mir da das Internet weiter, und ich „blättere“ mich hin und wieder durch Gedichtsammlungen. Mitunter stößt man so auf Sachen, deren Originalquellen gar nicht so einfach auffindbar sind. Gerade bei Lyrik, die nicht zu den Klassikern gehört. Da gibt es immer wieder ausdrucksstarke Schätze zu entdecken, die es zu bergen gilt, Gedichte, die es wirklich wert sind im musikalischen Rahmen zur Geltung gebracht zu werden. Wenn man etwa den über 200 Jahre alten „Untergang“ von Chamisso mit seiner Deutbarkeit der Umweltzerstörung und Abkehr der Natur betrachtet, so passt das plötzlich absolut in die Zeit.

Du wohnst aktuell in Berlin. Es mutet daher schon interessant an, dass Deine Alben sich sehr intensiv mit der Natur auseinandersetzen. Ist die Natur für Dich eine Möglichkeit der Flucht aus der Hauptstadt und damit dem Alltag? Damit verbunden die Frage, ob die Epoche der Romantik, welche Dein neues Album reflektiert, eine besondere Bedeutung für Dich und Dein Schaffen besitzt?

Die Natur ist definitiv ein Zufluchtsort für mich; nicht umsonst heißt der zweite Teil des Debütalbums „Refugium“. Fiur an sich ist ein Brückenschlag zwischen den Extremen Stadt und Natur. Ohne die Zivilisation könnte ich diese Musik in der Form nicht machen und festhalten. Und wenn ich hinaus in die Natur gehe, höre ich auch dort zeitweise gerne Musik. Ich nehme also auch etwas aus der Zivilisation dorthin mit. Andersherum entnehme ich aus der Natur die Inspiration für die Musik und kann mich mitten in der Großstadt über dieses Medium wieder etwas dahin zurückflüchten.

Ich genieße gern die Vorzüge der Großstadt; allein der soziokulturelle Horizont ist ein anderer, als wenn man auf dem Dorf groß geworden ist. Neben der fehlenden Natur, Ruhe und frischen Luft belastet mich aber vor allem eines: Als Berliner ist man von Flachland umgeben. Auf einer Klippe zu sitzen und den Blick 360° schweifen zu lassen, zum nächsten Bach, zu den Bäumen, rauf zu den Gipfeln, hinab ins Tal… Das ist ja nicht nur deshalb so befreiend, weil der Anblick schön ist, sondern weil der Blick nicht so limitiert ist. Ich bewege mich sonst die meiste Zeit in einer visuellen Zwangsjacke.

Zur Epoche der Romantik habe ich eigentlich keine besondere Beziehung in dem Sinne, dass ich dafür ein Fachmann oder besonderer Liebhaber wäre. Aber die Kunst aus dieser Zeit klingt in Musik und Bildern bis heute nach und inspiriert. Dazu ist diese Flucht aus der Stadt eine Triebkraft, die schon damals viele Leute die deutschen Landschaften mit all ihrer Wildheit neu entdecken ließ und wieder eine Beziehung zu ihr ermöglichte. Die Natur galt bis dahin eher als etwas, das man beherrschen und zähmen musste, und der Mensch thronte als „Krone der Schöpfung“ darüber. Dieser Geist in der Romantik kehrt zum Glück immer wieder, etwa in der Umweltbewegung der letzten Jahrzehnte oder der Erkenntnis, dass nur ein natürlicher Wald ein widerstandsfähiger Wald sein kann.

Fiur ist ein klassisches One-Man-Projekt, allerdings von sehr hoher musikalischer und technischer Qualität. Welche Möglichkeiten und Techniken hast Du genutzt, um als eigenständiger Musiker in vielen verschiedenen Bereichen auf das Niveau Deiner beiden Alben zu kommen? Diese Frage betrifft einerseits die Beherrschung der vielen Instrumente und andererseits die Aufnahmetechnik nebst Programmierung von Drums. Gib uns doch mal einen Einblick in Deine musikalische Entwicklung.

Abgesehen von etwas musikalischer Früherziehung mit Flöte, Piano wie auch Kinderchor war mein Verhältnis zu Musik bis in meine späte Jugend hinein rein passiv. Ich habe zwar schon mit dreizehn Jahren Metal für mich entdeckt, aber lange Jahre überhaupt keine Ambitionen entwickelt, selbst zu einem Instrument zu greifen.

Mein Musikgeschmack ist ziemlich divers, so bin ich auch mit elektronischer Musik aufgewachsen. Ich habe meine Plattensammlung etwa mit Tangerine Dream, Kraftwerk oder 80er Detroit Techno gefüttert. Davon inspiriert, begann ich mich selbst mit Patternsequenzern, Synthesizern und Samples zu beschäftigen, entwickelte langsam ein Gefühl für Songstrukturen oder Polyphonie und steckte plötzlich mitten in der Welt des Recordings.

Aus einer Laune heraus kaufte ich mir mit Anfang zwanzig dann doch eine E-Gitarre, stieg bei einem Freund in einer Punk-Band ein und habe einfach drauflos gespielt. Ich bin bis heute kein technisch versierter Gitarrist und bin in Sachen Musiktheorie völlig ahnungslos. Aber man entwickelt über die Jahre sein eigenes Spiel, und ich bin froh, mich trotz aller Begrenzungen doch auf einem gewissen Niveau ausdrücken zu können. Das betrifft ebenso den Bass, den ich eigentlich immer nur direkt für Aufnahmen in die Hand genommen habe. Mein Können an den Tasten ist hingegen wirklich erbärmlich. Es reicht aber, um die unterstützenden Keyboards bei Fiur einzusetzen. Tasteninstrumente sind ja ein zweischneidiges Schwert im schwarzmetallischen Rahmen. Aber da bei Fiur auch ein gewisser Prog-Unterton mitklingen soll, sind mir gerade Mellotron oder Hammondorgel sehr wichtig für diesen warmen 70er Sound. Generell beschränke ich mich da lieber auf einzelne, immer wiederkehrende, charakteristische Instrumente und meide orchestralen Bombast.

Wie schon richtig erkannt, sind die Drums bei Fiur programmiert. Der Anspruch dabei ist recht hoch, da die Musik von variabler Rhythmik und einer eher weniger kalten Atmosphäre lebt. Es finden sich viele ruhige Parts, stellenweise soll es auch grooven oder einen gewissen Swing mitbringen. Beim Entstehen der Lieder beeinflussen sich Drums und Gitarre immer wieder gegenseitig. Dynamik und eine gewisse Verspieltheit sind also enorm wichtig! Entsprechend fließen viel Sorgfalt und Detailverliebtheit in die Arrangements des Schlagzeugs und den Klang der einzelnen Schlaginstrumente. Dabei hilft es natürlich, wenn man schon selbst hinter einem Schlagzeug saß und öfter mit echten Drummern zusammengearbeitet bzw. aufgenommen hat.

Ist Donnerkeil Collective eigentlich Dein eigenes Label? Falls ja, warum hast Du Dich für den Selbstvertrieb entschieden? Falls nein, wie kam der Kontakt zum Label zustande und wie zufrieden bist Du mit der Zusammenarbeit?

Donnerkeil Collective ist ein DIY-Kollektiv, in dem man auf freundschaftlicher Basis gemeinsam Veröffentlichungen umsetzt und sich gegebenenfalls kreativ unterstützt. Label kann man das nicht wirklich nennen, und die Veröffentlichungen sind prinzipiell Selbstveröffentlichungen ohne Vertrieb. Ich hatte unserem alten Drummer von Kalibos dabei geholfen, das erste Tape seines obskuren Black-Metal-Projekts Biest fertigzustellen, was dann die erste Veröffentlichung unter diesem „Label“ wurde. Seit einigen Jahren habe ich noch ein sehr schräges Avantgarde-Projekt in der Schublade, für das unser Bassist von Kalibos gerade die Texte ausarbeitet. So etwas macht das Donnerkeil Collective im Wesentlichen auch schon aus.

Und zum Abschluss noch die wichtigste Frage überhaupt. Hast Du mittlerweile die gewünschte Windir-Box ergattern können? Der ein oder andere Leser wird die „Kleinanzeige“ bei metal.de vermutlich gelesen haben.

Kurz bevor ich meine Briefbombe an Season of Mist abschicken wollte, hat das Label die Windir-Platten glücklicherweise zum Einzelverkauf in seinen Shop aufgenommen. Ich bin also versorgt, deren Zentrale ist nicht verwüstet und mein Führungszeugnis bleibt somit sauber. Als Ersatz für die fehlende Holzbox habe ich mir zum Ausgleich die völlig überteuerte Vinyl-Box von Cor Scorpii mit „Monument“ und „Attergangar“ bestellt. Meine Sognametal-Seele kann also wieder beruhigt schlafen und mein Geld bin ich auch losgeworden.

Es hatte sich tatsächlich sogar jemand bei mir mit der Info zu den einzeln vorbestellbaren Windir-Platten gemeldet, so dass ich das Format der Kleinanzeige als Abschluss des Interview für ein enorm effektives Mittel halte. Aktuell suche ich noch das Debüt von Feigd und diverse Sigtyr-Demos. Danke! Ebenso ein Dankeschön für die Fragen und das Interesse an Fiur!

Geschrieben von Stefan am 6. Oktober 2021