Wesenwille - II - A Material God

Wesenwille – II – A Material God

Les Acteurs de l’Ombre Productions
2021

Black Metal, Zwei-Mann-Projekt, Niederlande? Logisch, da klingelt es. Mit den berühmten Landsmännern haben Wesenwille allerdings musikalisch keine Schnittmenge. Wesenwille stehen vielmehr für künstlerisch orientierten aber dennoch hart ausgespielten Black Metal, der auf Höhe der Zeit steht und wenige Blicke in den Rückspiegel riskiert. Selbstbewusst schreiben die beiden Herren sich daher den Unorthodox Black Metal in die Signatur. Besonderen Stellenwert im Sound nehmen die bisweilen sehr eindringlichen Gitarrenspuren von Ruben Schmidt ein. In diesem Sinne sei beispielsweise „Ritual“ jedem ans Herz gelegt. Dort wird die Mischung aus Tremolo, Solo und repetitiver Technik wesenwillscher Prägung mustergültig ausgeführt. Geht runter wie Öl und wirkt gar hypnotisch. Aber auch die handwerkliche Arbeit vom zweiten Mann hinter Wesenwille ist nicht zu verachten. David Schermann, der sich bereits als Live-Drummer für bekanntere Bands wie Glorior Belli, Chotzä oder Nocturnal Depression verdingt, gibt auf „II – A Material God“ einen durchaus imposanten Eindruck seiner kompositorischen und technischen Finesse.

„II – A Material God“ geht mit dem kapitalistischen System ins Gericht und wirft gleichermaßen die wahrlich interessante Frage auf, wie sehr der (Black) Metal eigentlich in die Prinzipien von Kapitalismus und Marktwirtschaft eingebunden ist. Sehr stark, denken wir, denn (auch) die Musik funktioniert nach den gängigen Regeln der Gesellschaft. Equipment, Tonstudios, Veranstaltungsräume, Tontechniker usw. müssen bezahlt werden, so dass eine Entkopplung von den gängigen Mechanismen beinahe unmöglich bzw. nur im Embryo-Status denkbar ist. Wie dieser Einbruch des kapitalistischen Systems in das vorherige Selfmade-Biotop der DDR-Metal-Szene erfolgte, schildert Abo Alsleben wie folgt in seinem Buch „Mayhem live in Leipzig“ in Bezug auf das am 4. März 1990 stattgefundene Thrashing-East-Festival: „Es mutete wie eine Kaffeefahrt für Ost-Metal-Fans an, denn fast jeder Zoni kaufte sich für 20 Ostmark mindestens eine Platte und rannte damit anschließend herum. Alle hatten Tüten unter dem Arm, es erinnerte stark an die Besucher der Leipziger Messe, die sich mit Prospekten aus dem westlichen Ausland eindeckten und damit tütenweise nach Hause rannten.“ Euronymous selbst kommentierte diesen Wandel und das genannte Event später in einem Brief an Alsleben: „Everything which has to do with this shit system should be boycotted, all death metal bands should fight for a scene independent of the capitalists!“

Nun, normalerweise würde am Ende einer Rezension zu einem gelungenen Album eine Kaufempfehlung stehen. Im Kontext des zuvor gesagten können wir zumindest einen entmaterialisierten Stream offerieren. Auf der anderen Seite, wofür überhaupt Leben und Geld verdienen, wenn dieses nicht in Kunst und eine echte Herzenssache investiert wird? „Ohne Musik wäre das Leben ein Irrtum“, lautet ein viel zitiertes Bonmot von Nietzsche. „II – A Material God“ passt am Ende hervorragend in den Katalog des französischen Labels Les Acteurs de l’Ombre Productions, welches mit Spectrale oder auch Darkenhöld viele weitere Höhepunkte des anspruchsvollen Undergrounds zu bieten hat.

Tracklist
1. The Descent
2. Opulent Black Smog
3. Burial ad Sanctos
4. Inertia
5. Ritual
6. A Material God
7. Ruin
8. The Introversion of Sacrifice

Geschrieben von Stefan am 11. Juni 2021