Mur - Truth

Mur – Truth

Les Acteurs de l’Ombre Productions
2021

Mur aus Paris machen eine Mischung aus Post-Black Metal, Mathcore, Crust und Synthwave. Das mag zunächst einigermaßen eigentümlich anmuten, funktioniert aber phantastisch. Ihr neues Mini-Album „Truth“ soll dabei nach eigenen Angaben ein Wegweiser für die neue ästhetische Ausrichtung der Band sein – und die ist rau, dissonant und hart. Blasts, Hardcore-Beats, krumme Taktarten und heiseres, crustiges Geschrei bestimmen die Marschrichtung. Dazu eine trotz aller Underground-DIY-Atmosphäre eingängige und irgendwie doch klare Produktion. Denn bei allem Lärm und Krach, bei allen Gitarrenwänden, die uns auf „Truth“ entgegenschlagen: Alle Riffs sind deutlich wahrnehmbar, abwechslungsreich arrangiert und beißen fies und böse zu.

So weit, so gut, so bekannt. Was Mur aber so großartig und „Truth“ so markant macht, das sind die Synthesizer, die regelmäßig unverhofft aus der Deckung kommen und bevorzugt in den Breaks voll einschlagen. So tun sich düstere Klangwelten, wenn sich Gitarrenriffs und Synthie-Figuren, Drum-Grooves und fette Basslines aneinander abarbeiten, nur um dann wieder in völlig unvorhergesehene Tempo- und Rhythmuswechsel umzuschlagen.

„Truth“ ist vielschichtig, wechselhaft und manchmal auch ein bisschen durcheinander. Das kann mitunter anstrengend sein, die bunten dynamisch ausorchestrierten Songs sorgen aber zumindest für reichlich Abwechslung. Filigran ist hier jedoch nichts. Es gibt permanent was aufs Maul, mal schleppend langsam, mal groovig und zuweilen auch rasend schnell. Allerdings stets düster, dystopisch und dissonant. Atmosphärische Passagen werden nur kurz aufgebaut, um dann sofort in der Luft zu zerreißen. Das Songwriting folgt der Prämisse: Der nächste Break ist immer der Beste. Diese düsterbunte Mischung funktioniert insbesondere bei dem Song „Suicide Summer“ mit am besten. Hier sitzt jeder Break, geht kein Riff zu lang und trotz aller rhythmischen Verzierungen des Schlagzeugs und allem Stakkatogehacke verliert die Song niemals den Groove. Dafür sorgen hier die besonders stark umgesetzten Synthpatterns, die dem Song Struktur und Substanz verleihen.

Doch diese Synthie-Einsprengsel sind – trotz aller Synthwave-Zitate – keinesfalls partytauglich. Dennoch ist die Kombination von 80er-Gedächtnis-Synthie-Arpeggios mit Blastbeats und Hardcore-Rhythmen, schiefen Tönen und krummen Takten erstaunlich eingängig. Denn Mur verfahren mit den Keyboards genauso, wie sie es auch mit ihren Saiteninstrumenten und den Drums tun: Gewalttätig. So wird auch der 80er-Jahre-Klassiker von Talk Talk „Such a Shame“ gnadenlos zerlegt, zerschrottet und trotz dessen ohrwurmgefährlicher Hookline in eine wütende Wand aus Schwärze und Energie transformiert, die gleich allen anderen Songs auf „Truth“ über ihr Auditorium hinwegfegt und alles niedermacht, was ihr im Wege steht. „Truth“ ist also was für alle, die gerade ein bisschen sauer auf die Welt sind und eine halbe Stunde lang ihrem Zorn Luft machen müssen. Wir sind gespannt, wie so was auf Albumlänge funktioniert.

Tracklist
1. Inner Hole
2. Suicide Summer
3. Epiphany
4. Truth
5. Such a Shame (Talk-Talk-Cover)

Geschrieben von Jonas am 17. Juli 2021