Interview mit Niederwelt

Interview mit Niederwelt

Mit Niederwelt betritt eine ganz interessante Band die Bühne des deutschen Black Metals. Voller Tatendrang, dynamisch und mit dem durch und durch richtigen Ansatz, vielmehr nach Gefühl anstatt mit Kalkül zu agieren. Als Hörer fühlt man diesen nicht (be)greifbaren, jedoch wohltuenden Seelenklang – ein gewichtiger Grund, weshalb Ghâsh, der Frontmann dieser ostdeutschen Formation, uns direkt Rede und Antwort stehen musste.

Es freut mich sehr, dass Du Dir etwas Zeit für unsere kleine Bandbesprechung nehmen kannst, Ghâsh! Die sehr organische Produktion Eures aktuellen Albums erzeugt eine wahrlich sehr dichte und – ich nehme es an – auch gewollte Underground-Atmosphäre. Allein schon dadurch übt das Werk eine gewisse Faszination auf den Hörer aus. Habt Ihr Euch da einer besonderen Technik bedient oder wie habt Ihr das so hinbekommen?

Ich danke Dir Adam für die Möglichkeit, hier ein paar Worte über Niederwelt verlieren zu dürfen und überhaupt an Deinem Interesse an unserer Musik! Zu Deiner Frage: Um ehrlich zu sein, haben wir uns keiner anderen Technik als beim Aufnehmen des ersten Albums „Geschändet vom Dasein“ bedient. Wir haben nur unser Studio ein wenig renoviert und umgebaut, was sich wahrscheinlich auch im gesamten Klang widerspiegelt. Im Allgemeinen können wir jedoch sagen, dass wir uns beim Schreiben des aktuellen Werkes viel mehr Gedanken über ganz kleine, kaum wahrzunehmende Details gemacht haben. Wobei, was heißt Gedanken gemacht… Das Album „Deus Magnus“ war im Gesamtkontext viel mehr ein Gefühl. Eine weitere Besonderheit ist, dass „Deus Magnus“ als Konzeptalbum zu verstehen ist.

Ein Gefühl? Wie genau ist das zu verstehen? Habt Ihr einfach nur drauflosgejammt und daraus dann das Album zusammengezimmert? Eine ganz spontane Bauchgefühl-Geschichte also? Oder wie kann man sich das vorstellen? Ein gewisser Konzeptrahmen stand doch bestimmt schon bereits im Vorfeld fest, oder nicht?

Der Konzeptrahmen entwickelte sich tatsächlich erst zusammen mit der Entstehung der einzelnen Songs. Und die Songstrukturen entwickelten sich wiederum häufig durch Jams. Also ja, wenn ich von „Gefühl“ schreibe, dann meine ich, dass man die stärksten musikalischen Themen, welche bei einem Jam entstehen, nimmt und dann einen Song auf diesen aufbaut. Das funktionierte bei „Deus Magnus“ perfekt für uns. Und bei den Arbeiten am kommenden Album wird dies gleichermaßen vonstattengehen.

Ihr plant schon das dritte Album? Ihr legt aber wahrlich ein gutes Tempo vor… Um aber noch bei den bereits veröffentlichten Alben zu verbleiben: Welche genauen Konzepte liegen ihnen zugrunde? Beim Betrachten des Cover-Artworks von „Geschändet vom Dasein“ muss ich sofort an die Schreckensherrschaft der Kolonialmächte denken, „Deus Magnus“ weckt rein optisch Assoziationen mit römischer Mythologie. Stimmt das irgendwo? Oder geht meine Phantasie mit mir durch?

Der „Geschändet vom Dasein“ liegt kein textliches Konzept zugrunde, es gibt aber eine kleine Anekdote zu dem Cover-Artwork. Dieses ist an eine Graphitzeichnung von Danzig Sergejewitsch Baldajew angelehnt, welcher reale Szenarien aus dem Alltag im Gulag unter anderem in dem Buch „Drawings from the Gulag“ in visueller Form veröffentlichte. Wir frugen beim Verlag an, ob wir ein Bild für das Album nutzen dürfen, was uns allerdings verwehrt wurde und worauf ich hier jetzt auch nicht weiter eingehen möchte. Also spannten wir Ramona Boehme – raboeart.com – in unsere Arbeiten ein, und sie zeichnete uns dieses Bild in abgewandelter Form nach. Ramona ist ebenso für das Cover-Artwork von „Deus Magnus“ verantwortlich und wird auch hoffentlich an weiteren Werken von uns beteiligt sein. Sie ist eine sehr begabte Künstlerin.

Zum Konzept von „Deus Magnus“ möchte ich mich nur im Groben äußern, denn die gewillten Leser sollen sich weiterhin ihres eigenen Verstandes bedienen. Aber man lasse sich auf folgendes Gedankenspiel ein: Was wäre, wenn ein Wesen existiert, welches über allem steht. Über dem Tier, dem Menschen und selbst den Göttern. Was wäre, wenn dieses Wesen versuchte einen Raum zu erschaffen, in welchem ein absolutes Gleichgewicht herrscht, dieses aber durch das ignorante Handeln des Menschen, wie es im Laufe der menschlichen Geschichte ständig anzutreffen ist, gestört wird? Man nehme an, dieses Wesen ist die personifizierte Zeit. Was wäre, wenn die Zeit versuchte den Menschen und alle höheren Lebensformen aus der Geschichte zu tilgen, damit die Welt und das Universum im Gleichgewicht existieren können. Falls die Zeit scheitert, könnte sie sich selbst opfern, um zu vermeiden, dass das von Menschen verursachte Chaos herrscht.

Ein sehr interessantes Gedankenspiel! Ich sage auch immer, dass die Zeit der Schlüsselfaktor für alles ist. Doch erzähl mal gleich weiter: Welche Themen, die womöglich noch musikalisch von Euch verarbeitet werden wollen, liegen Euch noch ganz besonders am Herzen. Das große Thema unserer Zeit ist der Klimawandel. Ist das auch etwas, das Euch berührt? Oder denkt Ihr eher: Geschieht der doofen Menschheit ganz recht?

Ich glaube, zu dieser Thematik hat jeder, sowohl in der Band als auch da draußen, seine eigenen Gedanken. Der Mensch im Allgemeinen, wie er mit seiner Umwelt umgeht, das ist schon ein einziger Widerspruch in sich. Aber zurück zum Thema: Die nächsten Texte sollen wieder etwas weltlicher Natur werden. Im Groben unter dem Banner des Wahnsinns des menschlichen Geistes. Ich spiele grundsätzlich sehr gerne mit dem einzelnen Individuum und lasse den gewillten Leser meiner Texte in psychologische Abgründe eintauchen, in welche er sich aus eigenem Antrieb nicht hineinwagen würde.

Die Texte sind grundsätzlich so formuliert, dass sie in mehrere Richtungen gedeutet werden können, denn ich bin kein Freund von geistiger Vergewaltigung durch vorgekaute Standardfloskeln. Kommende Themen werden z. B. Demenz, Wolfskinder und der Grieche Perilaos sein, nur um ein paar wenige Beispiele anzuschneiden.

So wie es ausschaut, scheinst Du wohl die Marschrichtung von Niederwelt anzugeben. Oder wie läuft das bei Euch so ab? In wessen Händen liegen die Zügel?

Nein, das nicht. Jeder in der Band erhält die Möglichkeit sich frei zu entfalten, damit er sein Können perfekt einbringen kann. Doch beim Schreiben von Songs hilft es ungemein, wenn einer die Richtung vorgibt (in unserem Fall der Gitarrist EN), während der Rest sich auf sein Können fokussiert und das Beste aus sich herausholt, anstatt dass jeder sich um jedes Instrument Gedanken macht. Das ergibt dann bei uns die ideale Richtung. Wenn sich jeder um den anderen Gedanken machte, dann käme nur ein Haufen Mist dabei heraus, und man würde einfach nicht vorankommen. In der Hinsicht sind wir uns aber zum Glück einig.

Und wenn wir schon mal beim Gefühl waren: Welche Gefühle möchtet Ihr bei Hörern auslösen? Was ist Euer persönlicher Anspruch?

Ich glaube, jeder in der Band hat da seine eigenen Ansprüche und Ziele. Aber wir sind uns einig, dass die Musik nicht nur konsumiert, sondern weitergedacht werden soll. In Deinem Review hattest Du ja genau dies getan, Deine Gedanken sind für uns sehr interessant und natürlich auch anregend.

Vieles auf „Deus Magnus“ erschien mir sogleich sehr intuitiv eingespielt, und das ist die beste Garantie für ehrlich Musik. Ich kann mir gut vorstellen, dass Ihr dies auch live sehr gut rüberbringen könnt. Habt Ihr schon viele Live-Auftritte absolviert? Und welche Erfahrungen habt Ihr dabei bisher machen/sammeln können?

Jeder aus der Band hat durch verschiedene Projekte unterschiedliche Bühnenerfahrung sammeln können. Derzeit bin ich mit meinem Sludge/Groove-Metal-Projekt Domination Overload als einziger noch zweigleisig auf der Bühne unterwegs. Beim Rest von Niederwelt ist das schon etwas länger her.

Am 11.03.2023 hatten wir im Club Lamporphyr in Bautzen unseren ersten Auftritt mit Niederwelt. Es war ein von langer Hand geplanter und sehr gelungener Abend. Dort sind natürlich auch mehr als genug Videos entstanden, so dass man sich bei Interesse am besten selbst ein Bild davon machen kann.

Weitere Auftritte für dieses Jahr sind noch in Planung, auf diese gehe ich aber zum aktuellen Zeitpunkt noch nicht weiter ein.

Ich kann mir gut vorstellen, dass Ihr jede Bude mit Eurer Präsenz niederreißen könnt. Und wenn wir schon bei dem Präfix „nieder“ sind: Eurem Bandnamen haftet dadurch auch eine gewisse negative Konnotation an. Hat dies für Euch eine bestimmte Aussagekraft oder Bedeutung?

Niederwelt, ein Begriff, der in der Literatur hin und wieder verwendet wurde, angelehnt an die Hölle, logischerweise im Gegensatz zur Oberwelt bzw. dem Himmelreich stehend.

Niederwelt kann aber auch auf niedere Welten anspielen, also auf Lebensräume, Religionen etc., eben verschiedene teils abstruse Weltanschauungen durch unterschiedliche Persönlichkeiten.

Niederwelt lässt sich aber auch als „nieder mit der Welt“ auslegen. Welche Welt bzw. Weltanschauung, das liegt natürlich wieder im Auge des Betrachters.

Für uns passt der Name durch seine begriffliche Dehnbarkeit perfekt. Unsere Texte sind ja auch schon grundsätzlich mehrdeutig. So auch der Bandname an sich.

Und diese Mehrdeutigkeit spiegelt sich perfekt in Eurem Sound wider, sie verleiht Euch ein großes Potenzial, meiner Ansicht nach. Nutzt diesen, um das zu erreichen, was Ihr mit Niederwelt erreichen möchtet! Verfolgt Ihr überhaupt ein bestimmtes Ziel? Ghâsh, danke Dir auch schon für das Gespräch! Man sieht sich bestimmt mal vor und/oder hinter der Bühne! Bis dahin!

Ziele ergeben sich aus Möglichkeiten, und welche Möglichkeiten uns in Zukunft noch zur Verfügung stehen werden, das werden wir sehen.

Im Namen von Niederwelt bedanke ich mich bei Dir für dieses Interview, es war mir eine Freude und eine sehr angenehme Arbeitsweise! Dann bis bald!

Geschrieben von Adam am 20. April 2023