Grave of Love - All Those Tears Ago

Grave of Love – All Those Tears Ago

Only the Sun Knows Records
2021

Neofolk-Alben sind durchgehend ein wenig sonderbar: Das Merkwürdige ist stets fest in die Musik eingewoben, die sich oftmals zwischen romantischer Schwelgerei, düsterer Melancholie, apokalyptischen Klanglandschaften bis hin zur blanken Kakophonie nicht so recht entscheiden kann. Grave of Love ist so ein Fall. Das polnische Neofolk-/Martial-Industrial-Projekt von Michał „Neithan“ Kiełbasa befindet sich hier in – zumal selbst attestierter – guter traditioneller Gesellschaft berühmt-berüchtigter Genre-Kollegen und zeichnet ein düsteres, schwermütiges musikalisches Bild vom Ende der Welt und der Zeit danach.

Genretypisch basiert die Musik auf den bekannten Akustikgitarren, die mit allerlei Keyboards, Percussion, seltsamen Klangcollagen und monoton gesprochenen Vocals angereichert werden. Von der ersten Sekunde an trieft „All Those Tears Ago“ vor schauriger Atmosphäre und kündet vom Ende der dekadent gewordenen Gesellschaft und einer daran anknüpfenden Zeitenwende. Sowohl musikalisch als auch inhaltlich bewegt man sich also in sehr bekannten Gewässern.

Einzelne zauberhafte Lichtblicke werden in lauen Anfällen von düsterer Romantik kurz eingefangen, sie verhallen jedoch in schroffen Klanglandschaften aus verzerrten Bassläufen, dunklen Trommelfiguren und lethargischen Hornmelodien. Gerade letztere sind ein Herausstellungsmerkmal von Grave of Love. Sie verleihen den Stücken oftmals das letzte Stückchen Atmosphäre irgendwo zwischen Klagelied (wie etwa bei „Like Wolf oder „All Those Tears Ago“) und Aufruf zur – wohl letzten – Schlacht („Drought of Souls“, „Death of Hope“). Sprachorgan dieses 50-minütigen Abgesangs der Apokalypse sind die sehr monotonen Vocals, die von einer vergangenen Dekadenz-Epoche erzählen und – ohne jede Melodieführung oder rhythmische Ausgestaltung – den Untergang dieser einläuten. Gerade im Vergleich zu den Vorgängeralben sind Grave of Love deutlich atmosphärischer geworden, sehr viel weniger folkig und catchy, dafür sehr viel dichter, dystopischer und schwergängiger. Die Monotonie wird zur Kunstform erhoben; schleppend langsam kriecht sie voran, um das letzte bisschen Leben aus der Welt herauszusaugen und halbverdaut wieder auszuspeien.

Dieser Musik gewordene Behemoth wird von einem wunderschönen Artwork und Booklet begleitet – und einem ins CD-Case eingelegten Löwenzahn, welcher sich als tragendes Element durch die Gestaltung der gesamten Scheibe zieht. Das ästhetische Zusammenspiel von Musik und Tonträger ist hier wahnsinnig schön geworden.

Beauty is something that burns the hand when you touch it. – Yukio Mishima

Ein Wort sei aber noch an dieser Stelle zu den Inhalten der Songs gesagt: Die Erzählung von der Dekadenz einer Gesellschaft, die niedergehen und zerstört werden muss, um wieder auferstehen zu können, dieser Kulturpessimismus und die Übertragung solcher Topen in Naturmetaphern sind Elemente von protofaschistischem Gedankengut. Diese Metapher-Sprache ist unaufhörlich mit der Ideologie verbunden, dass manche Gesellschaften ausgelöscht werden müssen, damit andere Gesellschaften aufblühen können; zynisch gesprochen also wie ein Löwenzahn und eine Pusteblume. Dazu kommt, dass sich sowohl Künstler als auch Label in die Tradition offen faschistisch-rechter Neofolk- und Martial-Bands einschreiben. Dieser Mangel an kritischer Distanz hinterlässt damit mindestens einen faden Beigeschmack.

Tracklist
1. We All Fall Down
2. Like Wolf
3. Time Heals Nothing
4. Memories Fade Away
5. Tears May Fall
6. Remains of Grief
7. Believe
8. Dying Messiah
9. Drought of Souls
10. Death of Hope
11. All Those Tears Ago
12. Farewell

Geschrieben von Jonas am 19. Juni 2022